Vorläufer
Bereits in der Spätantike gab es mit den Arianern eine Bewegung, die das ab dem 4. Jahrhundert entwickelte Dogma der Dreieinigkeit abgelehnt hatte. Die Arianer können somit in gewissem Sinne als Vorläufer der Unitarier angesehen werden. Doch erst die beginnende Reformation im 16. Jh. brachte wieder antitrinitarische Positionen in den Diskurs. Zu nennen sind unter anderem Reformatoren wie Michael Servet, Hans Denck und Johannes Sylvanus.
Unitarischen Ansätzen wurde oft mit Gewalt und Repression begegnet. Nachstehende Grafik zeigt die Enthauptung des Antitrinitariers Johannes Sylvanus (Waldner) am 23. Dezember 1572 (einen Tag vor Heiligabend vor den Augen seiner beiden Kinder) auf dem Heidelberger Marktplatz. Bis heute gibt es in Heidelberg keine Gedenktafel oder ähnliches, die auf Johannes Sylvanus hinweist.
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Beginn in Osteuropa
Als fassbare Konfession entwickelten sich die Unitarier erst in der späten Reformationszeit. Frühe Zentren des Unitarismus wurden Polen-Litauen und Siebenbürgen. Hier konnten sich im Schatten toleranter Könige erste unitarische Kirchenstrukturen entwickeln. Hiervon zeugt unter anderem das Toleranzedikt von Torda von 1568. Hierbei fällt auf, dass sich die Unitarier oft in einem bereits reformatorisch geprägten Umfeld entwickelten. Die unitarische Kirche Polen-Litauen entstand zum Beispiel nach einem Bruch mit den polnischen Reformierten.
Kennzeichnend für die frühen Unitarier war die Betonung von Vernunft und Toleranz, die Ablehnung der Präexistenz Jesu und der Trinität, die als unbiblisch angesehen wurde. Sie sprachen sich für den freien Willen und für ein symbolhaft verstandenes Abendmahl aus. Ansonsten teilten sie die wesentlichen Prinzipien anderer protestantischer Kirchen. Die polnischen Unitarier waren in den ersten Jahren auch stark von der Täuferbewegung beeinflusst. So waren viele von ihnen Pazifisten und lehnten die Kindertaufe ab. Nach unitarischem Selbstverständnis sollte der Glaube nicht mehr von Päpsten, Bischöfen oder Konzilien bestimmt, sondern unmittelbar mit Hilfe menschlicher Vernunft aus den biblischen Schriften erschlossen werden.
Die Unitarier wurden so zum Wegbereiter des christlichen Rationalismus und einer kritisch-rationalistischen Bibelexegese. Einen Dissens gab es in Hinblick auf die Betpraxis: Die unitarischen Nonadorantisten vertraten die Position, dass Jesus seine Jünger aufrief zu Gott, nicht jedoch zu ihm selbst zu beten. Aus dem Umfeld der siebenbürgischen Nonadorantisten entwickelten sich später die Sabbatarier, die den Sabbat statt des Sonntages feierten und sich in Folge stärker jüdischen Positionen annäherten.
Besonders im polnisch-litauischen Bereich entstanden an vielen Orten unitarische Bildungsstätten. Die bis heute bekannteste ist die Rakauer Akademie, an der auch deutsche Theologen ihre Wirkungsstätte fanden. Bedeutende Vertreter des frühen Unitarismus waren (unter anderem) Peter Gonesius, Martin Czechowic und Simon Budny (in Polen-Litauen) sowie Franz David (in Siebenbürgen). Budny wurde unter anderem für seine polnische Bibelübersetzung bekannt. Eine besondere Bedeutung kam den beiden aus Italien stammenden Juristen und Theologen Lelio und Fausto Sozzini zu, die die vernunftsbetonte Theologie des Sozinianismus prägten. Ein Schlüsseldokument der frühen Unitarier wurde der von Fausto Sozzini mitentworfene Rakauer Katechismus, in dem die wesentlichen Positionen des Unitarismus zusammengefasst wurden.
Transfer in den Westen
Mit der katholischen Gegenreformation wurde die unitarische Kirche Polen-Litauens Mitte des 17. Jh. ausgelöscht. Allein im preußischen Raum konnten sich zum Teil noch Gemeinden halten. Stattdessen entwickelten sich an der Schwelle zur Aufklärung nun erste unitarische Zirkel in London und anderen Orten Westeuropas. Geschuldet war dies auch dem Einfluss unitarisch-sozinianischer Literatur. Eine wesentliche Rolle hierbei spielte im 17. Jh. der englische Theologe John Biddle, der unter anderem eine Biografie über Fausto Sozzini ins Englische übersetzt hatte. Auch Isaac Newton vertrat unitarische Überzeugungen. 1774 entstand unter Joseph Priestley und Theophilus Lindsey in London schließlich formell die erste unitarische Gemeinde Englands. 1792 folgte die Gründung der ersten Unitariergemeinde in Schottland.
Die britischen Gemeinden entstanden oft im Umfeld der protestantischen Nonkonformisten (Dissenter). Über England kamen unitarische Ideen auch nach Nordamerika. Die erste unitarische Gemeinde Nordamerikas entwickelte sich unter dem Theologen James Freeman 1786 in Boston aus einer zuvor anglikanischen Gemeinde (King’s Chapel) heraus. In Folge entstanden in Neuengland weitere unitarische Gemeinden. Wie bereits in Polen und England entstanden die unitarischen Gemeinden auch hier oft aus einem reformierten (hier: kongregationalistischen, puritanischen) Umfeld heraus.
Der Unitarismus gewann innerhalb kurzer Zeit großen Einfluss. Viele Unitarier wirkten auch in Kultur, Wissenschaft und Politik – und nicht zuletzt in den Emanzipationsbewegungen des 19. Jh. wie der Frauen- und der Anti-Sklaverei-Bewegung mit. Die Havard University entwickelte sich bald zu einem Zentrum unitarischer Theologie. Auch mehrere Präsidenten der Vereinigten Staaten waren Unitarier (→John Adams, John Quincy Adams, Millard Fillmore und William Howard Taft) oder standen dem Unitarismus nahe (→Benjamin Franklin oder Thomas Jefferson, der sich als Unitarier verstand, aber nicht formell Mitglied gewesen war). Ein Schlüsseldokument für den nordamerikanischen Unitarismus wurde die im Mai 1819 von William Ellery Channing in Baltimore gehaltene Predigt Unitarian Christianity, die sich an die Kritiker des Unitarismus wandte und den Wesensinhalt des Unitarismus zusammenfassen sollte. Channing betonte hierbei noch einmal den Stellenwert der Vernunft zum Verständnis der biblischen Schriften.
Einfluss des Transzendentalismus
Es lässt sich konstatieren, dass der nordamerikanische Unitarismus im 19. Jh. im kirchlichen wie auch im politisch-gesellschaftlichen Bereich großen Einfluss gewonnen hatte. Zugleich entwickelte sich ab etwa Mitte des 19. Jh. in seinem Umfeld mit dem Transzendentalismus eine neue philosophische Schule, die den Unitarismus letztendlich auf den Kopf stellen sollte. Die Transzendentalisten setzten dem Intellekt das Gefühl entgegen. Viele von ihnen waren Pantheisten, die Gott und die Welt in eins setzten. Sie betonten die Intuition, den Individualismus und die Freiheit des Einzelnen. Einen besonderen Stellewert in ihrem Denken nahm die Natur ein, die sie als Teil einer ganzheitlichen Kraft sahen. In ihren Überzeugungen waren sie mit der Romantik, mit Schleiermacher und insbesondere mit dem deutschen Idealismus verbunden.
Führende Vertreter des amerikanischen Transzendentalismus waren Schriftsteller wie Ralph Waldo Emerson und Theodore Parker. Emerson warf den übrigen Unitariern eine fehlende religiöse Sensibilität vor. Parker sah den Wesenskern christlichen Glaubens nicht in der Theologie, sondern in der Ethik Jesu. Die Transzendenz sollte nicht mehr allein an die Bibel und den christlich-jüdischen Gott gebunden sein, sondern sich ganzheitlich entfalten. Gott wurde so in gewisser Weise zu einer abstrakten Idee reduziert. Mit ihren neuen Ansätzen entfernten sich die Transzendentalisten vom christlich-jüdischen Glaubensverständnis – insbesondere von der Vorstellung eines persönlichen Gottes. Salopp formuliert legten viele mehr Gewicht auf allgemeine Spiritualität, Ethik und Moral, auf Kosten christlicher Theologie. Der Transzendentalismus brachte einen Riss in die unitarische Bewegung Nordamerikas.
Auch wenn Ihnen von vielen Unitariern wie Andrews Norton Widerspruch entgegen gebracht wurde und Synoden der unitarischen Kirche mehrfach im 19. Jh. die christliche Grundpositionierung unterstrichen und somit die neueren Ansätze der Transzendentalisten zurückwiesen, löste ihr Einfluss letztlich einen inner-kirchlichen Prozess aus, in dem sich die nordamerikanischen Unitarier zunehmend liberalisierten und sich im 20. Jh. auch für andere Glaubensauffassungen öffneten. Zugleich wurde eine Zusammenarbeit mit den nordamerikanischen Universalisten angestoßen. Die Universalisten waren in ihrem Kern ebenfalls eine christlich-protestantische Kirche, die an die Aussöhnung Gottes mit allen Menschen und somit an die Überwindung der Hölle glaubte – sich nun jedoch ebenfalls weltanschaulich öffnete.
Als Beispiel für die skiziierte Entwicklung kann die Freireligiöse Vereinigung (Free Religious Association, FRA) genannt werden: Diese hatte sich 1867 im Umfeld des Transzendentalismus gegründet, nachdem eine Synode der Unitarischen Kirche der USA ein Jahr zuvor in Syracuse (New York) das Bekenntnis zu Jesus Christus nochmals unterstrichen hatte. Die neue Vereinigung bildete in gewisser Weise ein institutionelles Gegengewicht zur unitarischen Kirche. Bei ihnen stand nun nicht mehr das Bekenntnis zum christlichen Glauben, sondern die vollständige spirituelle Freiheit im Vordergrund. Zu ihnen stießen zum Beispiel auch liberale Quäker, Agnostiker und Atheisten. Später lösten sich die amerikanischen Freireligiösen wieder auf. Dennoch übten sie einen nicht zu unterschätzenden Einfluss in Hinblick auf die spätere Öffnung des nordamerikanischen Unitarismus für nicht-christliche Positionen aus. Einen ähnlichen Ansatz gab es 1933 mit der Unterzeichnung des Humanistischen Manifestes durch die beiden unitarischen Prediger John Dietrich und Curtis Reese, die so einen Religiösen Humanismus begründen wollten, der jede Form von Supranaturalismus und göttlicher Schöpfung zurückweisen wollte.
Aus amerikanischen Unitariern werden Unitarier-Universalisten
Nach dem Zweiten Weltkrieg schlossen sich Unitarier und Universalisten in Nordamerika schließlich zu einem gemeinsamen Gemeindeverband zusammen und treten seitdem als Unitarier-Universalisten (UU) auf. Das christliche Erbe wird oft weiter geschätzt, jedoch mit anderen religiösen und weltanschaulichen Ansätzen kombiniert oder ergänzt. Kennzeichnend für die Unitarier-Universalisten sind heute Spiritualität, Gemeinschaft und das Eintreten für universelle Rechte wie Menschenwürde, Frieden und soziale Gerechtigkeit. Das kirchliche Engagement ist hierbei oft verwoben mit einem gesellschaftspolitischen Aktivismus innerhalb linker oder identitätslinker Bewegungen. Christ-sein ist für Unitarier-Universalisten inzwischen eine Option unter mehreren. Entscheidender ist stattdessen die individuelle spirituelle Entwicklung – sei es zum Beispiel als Christ, Buddhist oder Atheist. Ganz bewusst wurde und wird jede Form theologischer Verbindlichkeit aufgegeben.
Die modernen Unitarier-Universalisten sind somit ein Beispiel eines modernen Synkretismus - ohne jedoch einen neuen ideengeschichtlichen Kern zu entwickeln – da jede religiös-inhaltliche Bindung letztlich dem religiös-philosophischen Öffnungsprozess zuwiderlaufen würde.
Freireligiöse Pantheisten in Deutschland
Auch Teile der freireligiösen Bewegung in Deutschland übernahmen im 20. Jh. den Begriff Unitarier – jedoch in seiner bereits umgedeuteten Form. Nicht die Einheit Gottes, sondern die Einheit des Transzendenten mit der Welt sollte im Mittelpunkt stehen.
Im Zentrum stand nun also nicht mehr ein antitrinitarisches, sondern ein pantheistisches Denken. Gott und die Welt sollten nicht mehr dualistisch voneinander getrennt, sondern als Einheit gedacht werden. Der freireligiöse Theologe Rudolf Walbaum formulierte entsprechend 1926, er wolle eine unitarische Religion neu begründen. Die der freireligiösen Bewegung entstammende Religionsgemeinschaft freien Glaubens versteht sich heute als freie, nichtchristliche Gemeinschaft. Walbaum selbst war zu Beginn der NS-Zeit auch in die Gründung der Deutsche Glaubensbewegung involviert. Ein Teil der deutschen Unitarier öffnete sich so im 20. Jh. auch für völkische Ansätze. Hier wurde die pantheistische Vorstellung einer Einheit von Transzendenz und Welt weiter mit der Idee eines indo-europäischen Volksglaubens verbunden.
Christliche Unitarier
Teile der unitarischen Bewegung haben sich somit unter dem Einfluss von Transzendentalismus und Pantheismus im 20. Jh. weltanschaulich geöffnet, so dass ihr christlicher Kern in Teilen marginalisiert wurde. Einige haben sich auch ganz vom christlichen Glauben gelöst. Neben den skizzierten neueren Entwicklungen gibt es jedoch auch weiterhin unitarische Gemeinschaften und Kirchen, die am christlichen Fundament ihres Glaubens festhalten und weiterhin einen theologischen Unitarismus vertreten. Die bekannteste unitarische Kirche ist heute vermutlich die Unitarische Kirche in Siebenbürgen und Ungarn, die seit ihrer Gründung 1568 Bestand hat. In den letzten Jahren sind zudem neuere Gruppen und Netzwerke entstanden, die sich wieder bewusst positiv auf die Geschichte und Theologie des Unitarismus berufen. Im nordamerikanischen Raum kann unter anderem die Unitarian Christian Alliance genannt werden.
In Deutschland haben wir uns 2018 als Christliche Unitarier neu zusammengefunden. In Österreich hatte sich eine christliche unitarische Gemeinde bereits einige Jahre zuvor etabliert. Gemeinsam ist uns, die theologische Lücke, die im 20. Jh. gerissen wurde, wieder inhaltlich zu füllen und mit dem Versuch anzutreten, den christlichen und christlich-jüdischen Kern des Unitarismus wieder zu beleben.